_Ottilie erinnert sich.
In der Arbeit "Ottilie erinnert sich" präsentiert Karin Maria Pfeifer ein kugeliges Objekt aus Kirschkernen. Die einzelnen Kerne sind an Nylonfäden befestigt, deren Abstände wiederum sind definiert durch Berechnungen aus Winkelfunktionen und Kreisarithmetik. Es ist ein aufgebautes Gebilde, Stück für Stück in die Welt gehängt. Das langsame Knüpfen der Kerne an diese fragilen Fäden lädt das Werk automatisch auch auf einer energetischen Ebene auf, einer die über den optischen Anschein hinaus geht.
Das kugelförmige Objekt bildet einen seelischen Raum im Raum, schwebt es doch über dem mit Erinnerungen besetzten Fauteuil der verstorbenen Großmutter Ottilie. Jeder kleine Luftzug bringt eine wellenartige Bewegung in das fragile Gebilde, der Hauch der Erinnerung wird visualisiert. Eine feine Balance, die aber jederzeit aus dem Gleichgewicht geraten kann.
Grafiken, Einzelblätter, Größe variabel ( ca 100 x 210 cm), Filzstift, 2018
Das Kirschkernobjekt findet eine Entsprechung in einer Kollage aus mehreren Zeichnungen, vielschichtig aufgebaut aus verschiedenen Blättern, die die Motive eines Steinbodens in einem Alt-Wiener Zinshaus aufgreifen, ähnlich dem Fliesenboden des Gemeindebaues, in dem Ottilie nach dem Krieg gewohnt hat. Auch die Zeichnungen sind wie Screens aus tausenden kleinen Pixeln aufgebaut, die aber alle einzeln und Punkt für Punkt auf Papier gebracht wurden, Super-Slow-Motion statt blitzartigem Bildaufbau, konzentriertes Arbeiten statt Effekthascherei, alte Ornamentik statt seelenlose Flächen.
Wer die Zeit auf diese Art künstlich und künstlerisch verlängert, schafft Leerräume im doppelten Wortsinn und ermöglicht mehrere Erlebnisebenen für Erinnerungen, fürs Sinnieren, für Reflexion und Mehrdeutigkeit.